Distanzunterricht im Lockdown – zwischen Wahnsinn und Irrsinn
Distanzunterricht im Lockdown – Ich bin eine Mama, holt mich hier raus!
Tag 4 des Projekts „Unterricht zuhause“ und die Anzahl meiner grauen Haare hat sich schon vermehrt, wenn nicht gar verdoppelt. Drei Schulkinder in drei unterschiedlichen Jahrgangsstufen und zwei Kinder, die ebenfalls beschäftigt werden wollen, treiben mich – liebevoll gesagt – in den Wahnsinn.
Eines vorweg: Die Schulen trifft in diesem Fall wirklich keine Schuld. Von den Schulen kam man uns so viel entgegen, damit hätte ich nicht gerechnet. Zum Beispiel werden für die Grundschüler die Unterrichtsmaterialien an die Haustür gebracht, weil ich letzte Woche Blutungen hatte. Alle Lehrkräfte stehen sowohl telefonisch als auch per Mail zur Verfügung und haben einen tollen Wochenplan ausgearbeitet, der den Distanzunterricht im Lockdown light gut durchstrukturiert.
Die Große hat morgens per Videokonferenz ihren ganz normalen Stundenplan und nachmittags ihre Hausaufgaben. Die Grundschulkinder können ihre Lehrkräfte jederzeit erreichen und sagen, wo der Schuh drückt. Alles in allem kann ich mich wirklich absolut nicht beschweren und bin ehrlich begeistert, wie viel Mühe sich die Lehrkräfte aus beiden Schulen geben.
Das Problem bin ich. Ich kann mich einfach nicht vierteilen. Und meine Prioritäten sind vielleicht auch falsch. Eventuell rächt sich jetzt auch, dass ich mein Lehramtsstudium nicht bis zum bitteren Ende durchgezogen habe und meine pädagogische Kompetenz, was das Lehren von Unterrichtsinhalten angeht, einfach unterirdisch ist.
Vielleicht sind auch die Kinder nicht ausgelastet genug, sodass sie morgens schon vor dem Frühstück einen Kleinkrieg anzetteln. Vor dem ersten Kaffee. Nicht fair. Gar nicht fair.
Distanzunterricht mit 3 Kindern und 2 Wusels
Es ist tatsächlich ein bisschen wie in einem Katastrophenfilm. Während man sich die Haare rauft, weil ein Kind „ICH WEISS NICHT, WAS ICH TUN SOLL!“ brüllt, bevor es die Aufgabenstellung überhaupt gelesen hat, läuft beim nächsten die Windel aus. Gleichzeitig zuppelt ein Teeniemädchen am Ärmel, weil plötzlich kein Ton mehr aus dem Mikro kommt und ein weiteres Kind verzweifelt, weil es nicht weiß, mit welcher Farbe es die Aufgabe ausfüllen soll. Dazu schreit ein nächstes Kind immer lauter „WARUM HÖRT MIR KEINER ZU?! LASST MICH ENDLICH AUSSPRECHEN!“.
Ausgedacht? Nein, momentan Normalzustand.
Manchmal bin ich versucht, einfach nur die Batman-Pflaster und Kühlpads in den Ring zu werfen, mich still umzudrehen und zu gehen. Sie ihre Konflikte und Streits selbst austragen und eine Lösung finden zu lassen und mich einfach zurückzuziehen. Und dann stehe ich doch wieder da, spiele den Erklärbär, obwohl die Aufgabenstellung oben dran steht, wechsle gleichzeitig die Windel, warte auf den Rückruf von Manuel, der das technische Problem lösen soll und drücke dem nächsten Kind eine Farbe in die Hand, während ich dem letzten erkläre, dass es in 5 Minuten ganz sicher aussprechen kann. Also, falls da nicht der nächste „so so so wichtig“-Notfall eintritt.
„Aber das hast du dir doch selbst so ausgesucht. Du hast dich für so viele Kinder entschieden!“
Natürlich habe ich das. Klar habe ich mich bewusst für meine Kinder entschieden und weiß auch die Konsequenzen zu tragen. Aber (jetzt kommt’s!): Niemand von uns hat bei der Kinderplanung mit einer Pandemie, Distanzunterricht und diesem Momentanzustand gerechnet. Mit dem Zustand, den wir momentan haben, konnte ich nicht planen. Das hatte ich einfach nicht auf dem Schirm. Du etwa?
Und ja, ich finde diese Situation momentan einfach nur haarsträubend. Ja, ich bin eh daheim (aber selbstständig!). Ja, ich habe mal Lehramt studiert und da sollte noch einiges da sein. Doch ich kann kein Klassengefüge ersetzen, mir fehlt die Distanz zu meinen Kindern, um ewig pädagogisch den Schulstoff durchzukauen und nebenbei soll ich jegliche Anstrengung vermeiden. Mit 5 Kindern im Lockdown.
Wir dürfen jammern, motzen und wütend sein. Das steht mir als Mutter zu!
Wer nämlich Kinder kriegt, dem kommt nicht auf einmal rosa Glitzerpups aus dem Hintern. Wer Kinder bekommt, trägt eine riesige Verantwortung, die einen manchmal auffressen kann – vor allem während eines Lockdowns in einer Pandemie. Und manchmal ist man eben verzweifelt und wütend und kann nicht mehr. Wir sind alle nur Menschen. Menschen, die für ihre Kinder das beste wollen und gleichzeitig ständig abwägen müssen, wie viel wir uns und unseren Kindern aufbürden.
Ich kann mich nicht vierteilen, auch wenn ich es immer wieder versuche. Obwohl ich viele Dinge, wie den Haushalt, frisches Kochen (hallo, schlechtes Gewissen!) und andere Dinge hintenanstelle. Das Schulthema mit 3 Kindern in 3 unterschiedlichen Jahrgangsstufen und 2 Kindern, die ihre Mama ebenso brauchen, macht mürbe.
Es fehlt dieses Entzerren durch Schule, Hobbies und Freunde. Alles ist auf unseren Wohnraum und das Bewältigen der Aufgaben ausgerichtet. Ausgleich findet kaum statt und wird auch in den meisten Fällen nur widerwillig, wenn überhaupt, angenommen.
Dabei habe ich noch gar nicht die Gefühle der Kinder mit bedacht. Wie groß mag ihre Bürde sein?
Meine Kinder treffen seit Wochen nur noch ausgewählt einzelne Personen. Also alle zwei Wochen mal ein Spieldate mit dem Sitznachbarn oder der Sitznachbarin. Meist im Freien. Die sozialen Kontakte gehen gegen null, wenn man die Geschwister nicht mit einbezieht. Dazu kommt immer wieder, dass die Prinzessin sich Gedanken macht, ob das, was sie daheim tut, genug für ihre Wunschschule ist. Gleichzeitig rattert bei der Großen der Kopf, weil ihr die Lerngruppen aus der offenen Ganztagesschule fehlen, die sie in den Fremdsprachen unterstützen.
Das Lernumfeld ist eben nicht ruhig, in einer neutralen Umgebung, sondern daheim zwischen Kuscheltieren, Bausteinen und anderen Geschwistern, die selbst mit sich und der Situation zu kämpfen haben. Freunde, Austausch, ungezwungen spielen – das alles fehlt und das merkt man im Alltag. Wo können sie es besser rauslassen als daheim?
Die Hoffnung liegt bei den Impfungen und Herdenimmunität
Neulich habe ich gelesen, dass wir bei der Geschwindigkeit der Impfungen noch bis 2027 brauchen werden, bis wir quasi alle immun sind. Noch 6 Jahre. Hoffentlich geht das schneller vonstatten. Denn, auch wenn ich die meisten Maßnahmen für sinnvoll erachte und mir bewusst ist, dass Entwicklung, Herstellung und Wirksamkeit Zeit brauchen, macht mich die Pandemie müde. Vor allem, wenn sämtliche Zeitungsberichte zeigen, dass man sich nicht auf das Verantwortungsgefühl und den Menschenverstand anderer verlassen darf. Auch, weil ich das Gefühl habe, wir Eltern werden mit dem ganzen Mist allein gelassen.
Wir Eltern sind die Deppen
Kitas haben offen, aber bringt eure Kinder bitte nicht. Schulen bieten Notbetreuung an, aber bringt eure Kinder bitte nicht. Man ist also der Arsch, weil, egal wie man es macht, man kann es nur falsch machen. Bringt man sein Kind in die Kita, ist man verantwortungslos, weil man arbeiten muss und das Kind den anderen möglichen Überträgerkontakten aussetzt. Bringt man es nicht, ist man nicht zu 100 % verfügbar und einsatzfähig für den Arbeitgeber. Betreut man sein Kind daheim, ist das weder dem Kind gegenüber gerecht noch dem Arbeitgeber. Statt klarer Regeln hängen wir Eltern in der Luft, während an Arbeitgeber nur appelliert wird und irrsinnige Regeln, die scheinbar nur fürs Privatleben gelten, die Betreuungssituationen nicht gerade entlasten.
Klar, dass das schlechte Gewissen, egal, wie gut man abwägt, dauernd auf der Schulter sitzt und leise (oder ziemlich laut) flüstert „DU RABENMUTTER/VATER!“. Aber was ist die Alternative? Es gibt keine.
Und so sitze ich hier, trockne Tränen, weil die falsche Farbe für Symmetrieachsen verwendet wurde, ermahne gleichzeitig zwei streitende Kinder, dass sie das bitte von der Tür der Großen in ein Kinderzimmer verlegen sollen und denke mir „Ist schon Zeit für Schnaps? Ach nee, bin ja schwanger. Mist! Dann eben grüne Götterspeise“.
Die Kraftreserven sind aufgebraucht, die Nerven dünn. Ich fühle mich wie ein Spielball, denn auf unserem Rücken kann man es austragen. Wir Eltern haben keine Lobby. Solange wichtige Entscheidungen über Familien von Menschen jenseits von Gut und Böse oder ohne eigene Kinder, die nicht von Anfang an „wegrationalisiert“ wurden kommen, werden wir weiter Spielbälle sein, die sich innerlich zerreißen, um allen gerecht zu werden.
Ob es wirklich kein verlorenes Jahr ist, wenn wir aufgrund der Pandemie unser gutes Verhältnis zu unseren Kindern aufs Spiel setzen? Ich wage es zu bezweifeln. Denn in vielen Jahren wird kein Hahn mehr danach krähen, ob die Kinder mit 18 oder 19 ihren Abschluss gemacht haben. Es wird kein Schwein interessieren, ob sie die A- und O-Deklination in der 6. oder 7. Klasse in Latein erlernt haben. Aber die Kinder werden sich sehr wohl daran erinnern, wie wir Eltern in dieser Pandemie mit ihnen und der Situation umgegangen sind.
Willkommen im Jahr 2021: Dem Jahr, in dem Irrsinn und Wahnsinn reagieren und Eltern den Distanzunterricht im Lockdown meistern
Wie geht es dir damit? Fühlst du dich allein gelassen oder kommst du gut mit der Situation klar? Und wie geht es deinen Kindern?
Herzlichst, die Julie
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6 Kommentare
TAC
Tja, was soll ich sagen. Erstmal, dass ich dich vollkommen verstehen kann. Du leistest grad übermenschliches. Und ja, niemand hat mit dieser Situation gerechnet, erst recht nicht während der Familienplanung.
Ich hab „nur“ 3 Kinder.
Die Große ist 14, Pupertier vom Scheitel bis zur Sohle, intelligent (deshalb Gymnasium), aber total unorganisiert und schafft es nicht, sich selbst zu motivieren. Ich hab alles versucht, ihr zu helfen… Versuch das mal, bei einem Pupertier. Derzeit retten wir, was zu retten ist und ggf. gehts bereits ab Halbjahr an die Mittelschule…
Sohnemann ist 5. Klasse an einer Schule mit Schwerpunkt soz. – emot. Entwicklung. Er ist sehr intelligent (mehrfach getestet), steckt aber in manchen Bereichen auf Kleinkindebene fest. Er lernt sehr schnell, ist neugierig, verweigert aber sämtliche schriftliche Leistungen. Ihn an den Tisch zum Arbeiten zu bringen, kann schonmal Stunden dauern. (und Nerven kosten…)
Dazu kommt die 3jährige, eigentlich seit September Kindergartenkind, weil ich ihr zu Hause einfach nicht mehr gerecht werden kann. Sie langweilt sich, bräuchte dringend Gleichaltrige und mehr altersentsprechende Beschäftigungen.
Mo und Di arbeite ich, der Herr TAC arbeitet voll und ist täglich fast 10 Stunden unterwegs.
Zum Glück haben wir Großeltern, ohne würde es nicht gehen.
Ich persönlich kenne keine Familie, wo Schule zu Hause komplett rund läuft. Es gibt paar einzelne Kinder, wo es gut klappt, aber das ist echt die Ausnahme. Kennst du Alexandra von „Unterm Dreck ists sauber“? Lies mal bei ihr rein, sie hat das mit der Schule mal ganz gut zusammen gefasst. Und sie ist auch grad schwanger 😉
https://www.unterm-dreck-ists-sauber.de/2021/01/07/coronapolitik-schulen-und-kitas/
Ich wünsch dir Pausen, wann immer möglich und ansonsten genug Kraft. Ich warte noch auf das Wunder bezüglich der Schule…
LG von TAC
Julie
Die Situation ist wirklich gerade für alle belastend. Es ist eine Mammutaufgabe, an der man einfach nur scheitern kann. Der Text von Alexandra (danke fürs Verlinken!) fasst das alles wirklich super zusammen.
Hoffentlich findest du auch Möglichkeiten, Kraft zu sammeln, damit ihr alle gut aus dieser Pandemie hervor kommt.
Alles Liebe, Julie
Sophia
Hallo Julie,
was Du leistest, dass ist echt eine Mammutaufgabe und das Du jammerst, ist klar. Wie es bei uns geht? Frag nicht, wenn ich an den ersten Lockdown denke, haben mich Fluten von e-mails erreicht mit Aufgaben und welche Computersysteme wir doch bitte installieren sollen. Teilweise hat es dann bei den Lehrern auch nicht geklappt, weil eben nicht jeder Lehrer fit ist in Teams, Moodle etc. Die werden überhaupt nicht geschult und vom Ministerium quasi ins kalte Wasser geschmissen. Dazu ist es so, dass unser Sohn ein Chaot ist. Blätter abheften, wozu? Du kannst Dir vorstellen, was dann passiert ist. Frau S… der Wochenplan von M.. ist noch nicht eingegangen. Heute einige Monate später der nächste Lockdown. Was soll ich sagen, es läuft etwas besser. Aber oft / fast täglich kommt folgendes: Ton läuft nicht, ich sehe meine Lehrer/Mitschüler nicht.
Julie
Ach Mensch, Sonja, das hört sich gar nicht gut an. Das ist aber auch einiges an Stress für deinen Sohn. Lasst euch nicht unterkriegen. <3
Melanie
Liebe Julie, ich kann dich sehr gut verstehen. Ich habe drei Schulkinder 17, 14 (Mädels) und 11 (Junge), zwei noch Kita Mädels (4 und 6 Jahre) und unseren Babysohn (3,5 Monate). Ich bin einfach nur dankbar gerade in Elternzeit zu sein. Meine 17 jährige Tochter hat mittlerweile verstanden wozu sie lernt und ist relativ diszipliniert. Allerdings zu anderen Uhrzeiten (da wird auch oft um 2 Uhr in der Nacht gelernt). Meine 14 jährige Tochter lernt selbständig und alleine. Sie hilft sogar anderen Schülern per Videotelefonie. Jedoch muss ich sie motivieren anzufangen. Mein Sohn hat es lerntechnisch nicht ganz so einfach. Glücklicherweise hat er vormittags Online Unterricht. Er braucht mich nur selten. Im Anschluss führe ich immer ein Gespräch über den Schultag mit ihm. Ich versuche locker zu bleiben und keinen Druck auszuüben. Schließlich geht es gerade allen Familien so. Es wird allgemein großzügiger Benotet. Außerdem lernen sie das wichtigste im Alltag. Alleine ein Brot zu backen ist so lehrreich und hinter kann man gleich noch ein Buch zum Thema Getreide anschauen (Benny Blu). Für die kleinen Mädels denke ich mir immer wochenweise etwas aus und bereite es am Wochenende für die ganze Woche vor. So muss ich morgens nur noch die Schneidvorlagen, Knete, Zahlenwerkstatt, Origami etc. hervorkramen und sie sind beschäftigt. Dann mache ich den Haushalt oder Häkel, damit ich den Haushalt nicht sehe. Der sieht seit dem 17.12.2020 eh furchtbar aus 😂. Aufräumen kann man auch noch nach der Pandemie.
Hauptsache wir bleiben alle gesund oder werden es.
Ganz herzliche Grüße Melanie 😊
PS: Morgen ist Samstag und keine Schule. Wie wunderbar.
Julie
Danke für deinen Erfahrungsbericht. Das geht sicher auch trotz Vorbereitungen ordentlich an die Substanz.
Durchhalten ist die Devise. Bleibt gesund. 🙂