Gleichberechtigung von Care Arbeit und Mental Load am Arsch – #mittelfingermittwoch
Heute ist Mittwoch. #mittelfingermittwoch, um genau zu sein. Und heute Nacht, nachdem ich also abends ein Onlineseminar für mein Studium besucht und im Anschluss noch das Babyphone bewacht habe, damit der Mann essen jagen kann (ja, ich spiele mit Klischees), bekam ich auf Instagram folgende Aussage: „Wow, sechs Kinder. Da bist du sicher Vollzeitmama oder?“ Und allein bei der Frage steigt mir immer direkt der Puls. Denn in 99,8 % aller Fälle würde diese Frage einem Mann mit der Kinderzahl – oder überhaupt mit Kindern – nicht gestellt werden. Care Arbeit und Mental Load sind weiblich. Gleichberechtigung gibt es nicht.
Ich beschäftige mich ja gerade auch im Studium mit Work-Life-Balance und Gesundheitsthemen. Und was immer wieder akut auffällt – und vorher eigentlich schon offensichtlich war – gerade alles, was außerhalb der Erwerbsarbeit stattfindet, wird automatisch weiblich gelesenen Personen zugeschoben.
Das klassische Rollenbild
Das fängt schon im Kleinen an. Mädchen bekommen Puppen, um sich in Fürsorge zu üben. Jungs bekommen Bagger, Dinos und Fußbälle. Kinder werden von Anfang an in ihre Rollen gepresst. Werden sie das nicht, dann schimpft aber Opa Fred, dass aus dem armen Bub doch ein Weichei wird oder – noch schlimmer – er wird schwul. (Spoiler: Wird er nicht, aber Mama und Papa überlegen sich halt genau, ob der Opa der passende Umgang ist!)
Sobald die Kinder dann nicht mehr zuhause betreut sind, werden sie ganz toll (das ist Sarkasmus!) von anderen Kindern beeinflusst. So sehr, dass der Dinopulli dann doch Jungs gehört und voll uncool an Klara-Fee ist und die pinken Turnschuhe ja sowieso gar nicht gehen.
Diese Klischees gehen mir so auf den Senkel, ehrlich!
Und dann haben wir noch gar nicht von Rollenbildern aka „Mädchen können kein Mathe“ und „Jungs packen mit an“ geredet.
Ist die Schule fertig, geht es mit der Ausbildung weiter – falls die weiblich gelesenen Personen bei gleicher Qualifikation nicht den Kürzeren gegen ihre männlichen Mitkonkurrenten gezogen haben.
Dann kommt da noch die Care Arbeit. Bei gleicher Ausgangssituation leisten Frauen deutlich mehr Care Arbeit als Männer. Sind beide nicht erwerbstätig sind das beispielsweise zirka 154% mehr (Quelle). Weil sie das ja aus Nächstenliebe tun (HAHA) oder für Gotteslohn, bleibt dafür eben Erwerbsarbeit auf der Strecke.
Dazu muss Frau ja auch Kinder gebären, Angehörige pflegen, den Haushalt schmeißen, Termine organisieren und dabei bitte auch noch nett, adrett und sportlich aussehen.
Geschlechtertypische Erziehung – was bis heute hängen bleibt
Auch ich erziehe meine Kinder tatsächlich geschlechterspezifisch. Das fiel mir auf, als die beiden Mädels abends unterwegs waren und ich direkt anmerkte, sie sollen auf dem Handy die Haustelefonnummer griffbereit haben. Das fällt mir auch auf, wenn ich ihnen erzähle, dass sie – sollten sie allein unterwegs sein – die Schlüssel zwischen die Finger klemmen, um sich im Falle des Falles wehren zu können.
Auch achte ich auch die Länge der Kleidung, damit keine Übergriffe stattfinden – denn die musste ich selbst als Jugendliche miterleben. Wusstest du, dass insgesamt etwa 97% aller Frauen schon sexuelle Übergriffe erlebt haben? SIEBENUNDNEUNZIG! (Quelle)
Momentan machen die beiden großen Mädels übrigens an der Schule einen Selbstverteidigungskurs. Weil es noch immer nötig ist. Nicht, weil es cool ist.
Beim 9-jährigen habe ich mir in die Richtung nie Gedanken gemacht. Wirklich nie!
Ich habe es satt
Ich habe es tatsächlich satt, dass, wann immer ich auf diese Missstände im 21. Jahrhundert (!) aufmerksam mache, ein Kerl um die Ecke kommt und mir erklärt, Männer hätten es genauso schwer. Und ehrlich, diese persönliche Meinung tangiert mich im Gegensatz zur Faktenlage echt herzlich wenig.
Ja, es ist schon schwer, wenn man fürs Windeln wechseln beklatscht oder fürs auf dem Spielplatz sitzen bejubelt wird. Es ist schon schwer, wenn man prinzipiell aufgrund der Geschlechtsmerkmale bei Stellenausschreibungen bevorzugt wird und grundsätzlich mehr Gehalt bekommt (Stichwort: Gender Pay Gap). Dass die Rente dann später dementsprechend besser ausfällt, ist natürlich auch Zufall und hat nichts mit dem Patriarchat oder dem vorhandenen Penis zu tun oder?
Manchmal wäre ich auch so gern so naiv. Oder uninformiert. Oder blind.
Es macht mich wütend, dass ich meine Kinder zum Selbstverteidigungskurs schicken muss, weil noch immer amüsiert gelächelt wird, wenn ein Kerl einem Mädchen oder einer Frau zu nahe kommt. Ich habe so Wut, wenn ich daran denke, dass sich in den letzten Jahren so wenig getan hat und wir eher rückschrittlich agieren (Stichwort körperliche Selbstbestimmung und Abtreibungsgesetze in den USA und Polen).
Und es macht mir in gewisser Weise auch Angst, dass meine Kinder genau die gleichen Kämpfe kämpfen müssen wie ich. Es fühlt sich an, als würden wir auf der Stelle treten. Ein scheiß Gefühl!
Aber klar, Heribert-Eckehard, als Mann hat man es schwer. Vor allem im Patriarchat. Wem will ich da was erzählen …
Welchen Weg wollen wir gehen?
Deswegen schrieb ich auf Instagram, was ich mir für meine Kinder wünsche. Ich schrieb, dass ich mir mehr Gleichberechtigung, Gleichstellung und mehr Akzeptanz & Anerkennung wünsche. Ich machte auf die Missstände aufmerksam.
Und ich werde nicht müde, dies immer und immer wieder aufzugreifen. Denn es geht um unsere Kinder und unsere Zukunft! Care Arbeit muss sichtbar werden!
Welchen Weg wollen wir gehen? Den bequemen klassischen oder den steinigen für mehr Respekt, Gleichstellung und Augenhöhe?
Herzlichst, die Julie
Wenn dir das Thema auch so schwer im Magen liegt, gib mir doch gern einen Kaffee zur Verdauung aus! Vielen Dank!
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