„Aber er ist doch ein Junge!“ //Warum mir Geschlechterklischees so auf den Senkel gehen
„HAHA! Der hat Nagellack, der ist ein Mädchen!“ So liebevoll wurde der Frosch neulich, als er zum Fußballtraining erschien, von anderen Kindern empfangen. Ja, es wurde sich regelrecht lustig über ihn gemacht, nachdem er sich am Vormittag so viel Mühe mit dem schwarzen Nagellack gegeben hatte. Und ich kann dir sagen, mir gehen diese Geschlechterklischees so dermaßen auf den Sack. Diese Rollenklischees, die irgendwann in grauer Vorzeit irgendein Hanswurst festgelegt hat.
(Nach ihren Geschlechtsorganen zugeordnete) Jungen haben folgendermaßen zu sein:
Jungs müssen stark sein, dürfen keine Gefühle zeigen. Sensibelchen? Nee, verweichlicht! Sie sollen unter keinen Umständen weinen und ihrem Geschlechtsorgan können sie verdanken, dass sie schon mit 3 Jahren 45 Meter weit werfen können – ansonsten werden sie als Mädchen verspottet. Jungen können außerdem nicht richtig lesen, sind dafür ein Mathegenie und können blind (ja wirklich, ohne zu schauen!) rückwärts einparken.
Wusstest du, das Jungs auch niemals Röcke oder Kleider tragen? (Das bei den Schotten ist was anderes, die haben ja stramme Waden – oder so ähnlich.) Und wusstest du, dass Kindern der Penis abfällt, wenn sie mit Puppen spielen und rosa als Lieblingsfarbe nennen? So zumindest werden verdammt viele andere Kinder erzogen. Auch Nagellack und Haarspangen führen zu einem sofortigen Verlust sämtlicher Männlichkeit. (Ich meine, wer spricht bei Kindern denn schon davon?!) Einer meiner Jungs trägt die Haare zum Zopf. Was in der Rockerszene absolut normal ist, ist im Spießbürgertum das Ende des Anrechts auf den Titel „männlich“.
Bei Jungs ist es außerdem ein bisschen mehr wurscht, welche Noten sie nach Hause bringen. Die haben eben Flausen im Kopf und müssen sich mehr körperlich auspowern. Sie müssen ihre Grenzen testen und sich auch mal raufen – mit blauen Flecken und Schürfwunden. Hier herrscht noch das Prinzip des Stärkeren.
Aber nicht nur (nach Geschlechtsorganen zugeordnete) Jungen kämpfen mit Geschlechterklischees ohne Ende.
Mädchen sind sanft. Sie dürfen niemals laut und aufbrausend sein. Ihre Kleidung ist stets sauber und sie sind grundsätzlich einfühlsam und liebevoll. Mit den Händen arbeiten? Nur, wenn man sie auf ihr späteres Leben als Hausfrau vorbereiten möchte. Wenn sie etwas körperlich gut können, dann sind das grazile Sportarten wie Federball oder Tennis. Und außerdem dürfen sie sich geehrt fühlen, wenn sie auf Brüste, gebärfreudige Becken und lange Haare reduziert werden. Mehr zählt schließlich nicht.
Außerdem tragen Mädchen niemals Dino-Pullover, denn das ist ja zu rauh, zu roh, zu animalisch. Lieber das feine pastellfarbene Kleidchen. Und dabei sitzen sie abseits jeglicher körperlicher Ertüchtigungen und lesen gesittet mit überschlagenen Beinen in einem Pferderoman. Wenn eines dieser Kinder eine Vorliebe für Bagger, wilde Tiere oder raspelkurze Haare hat, wird es Zeit, sich ernsthaft Gedanken zu machen. Denn Mädchen machen das schließlich nicht.
Nebenbei liegt es in der Natur von Mädchen, dass sie sprachlich absolut hochbegabt sind und all ihre männlichen Familienmitglieder liebevoll umsorgen. Natürlich wollen alle Lehrerin oder irgendwas soziales machen. Hat man ihnen ja auch gesagt, dass dort ihre Begabungen liegen.
Nicht nur Kindern selbst werden bestimmte Rollen fix zugeteilt. Sie haben auch nur mit bestimmten Dingen zu spielen.
Neutrale Spielsachen? Die gibt es kaum. Vielleicht noch im Babyalter die biologisch ökologisch korrekten Holzrasseln aus nachhaltigem Anbau. Einfach, weil Farben da den Sinn und Zweck entfremden würden.
Aber es fängt schon damit an, dass manche Eltern ihren Kindern absprechen, mit einer neutral angepinselten Kinderküche zu spielen, „Weil das nur was für Mädchen ist!“. Und wenn das Lego Duplo bereit steht, soll sich das Kind bitte an den Bauernhoftieren orientieren, weil das Polizeiauto mit Gefangenem „Nur was für Jungs!“ ist. Ja, wir Eltern geben hier sämtliche Vorurteile, eigene Einschränkungen und Scheuklappen weiter an unsere Kinder.
Sämtliches Marketing für Kinder, sämtliche Werbespots sind so ausgelegt, dass sie jeweils ein bestimmtes Geschlecht anspielen. Selten gibt es auch nur den Ansatz von „Es ist wurscht, was du zwischen den Beinen hast oder welchem Geschlecht zu dich zugehörig fühlst.“. Ich kann mich spontan nur an ein oder zwei Werbungen für Spiele erinnern, die von Jungen und Mädchen bedient wurden.
Wird dann mal untypisch gespielt, sind es oft die Eltern, die die Kinder ausbremsen. „Mein Kind spielt nicht mit Barbies. Er ist ja schließlich EIN JUNGE!“ Ach nein? Wirklich nicht? Vielleicht traut sich Ole-Ocean auch einfach nicht, Papi zu sagen, dass er Puppen cool findet, um Papi nicht zu enttäuschen. Und Fine-Fee wird einfach nicht ernst genommen, wenn sie sagt, sie möchte lieber eine Monster-Trucks-Geburtstagsparty.
Weiter geht der Irrsinn der Rollenklischees bei der Kleidung
Hast du schon einmal eine Mädchenunterhose in 146 neben eine Jungenunterhose in 116 gehalten? Die sind im gleichen Laden gleich groß. Mit T-Shirts verhält es sich ähnlich. Und dann sind wir noch nicht einmal bei den Jeans angelangt, die in der Mädchenabteilung entweder enganliegend oder auf Hüfthöhe getragen werden, während die der Jungenabteilung locker geschnitten sind. Ich meine: Hallo?! Was brauchen Kinder im Kindergarten schon durch Kleidung sexualisiert werden? Ist das wirklich nötig?
Nicht einmal für Babys gibt es großartig neutrale Kleidung. Und wenn, dann hat sie den Einheitsbrei an Grau, Beige und Brauntönen. Nichts fröhliches in Orange mit Grün und Gelb. Nee. Grau. Und wenn die Farbe schon nicht eindeutig zuzuordnen ist, dann wenigstens das Motiv. Neulich las ich auf Twitter, dass sich Eltern darum stritten, ob gerötete Wangen auf einem Dino überhaupt tragbar für den männlichen Nachkommen sei. Geht’s noch?!
Du merkst, mir gehen diese Geschlechterklischees so dermaßen auf den Senkel
Warum soll der Frosch sich nicht die Nägel lackieren, wenn es ihm gefällt? Nur weil irgendjemand in der 29. Generation eingetrichtert bekommen hat, dass sich das nicht für Jungs gehört? Wir hatten hier auch schon ein Mädchen zu Besuch, das danach nie wieder kommen durfte, weil sie hier zu wild und mit Deck gespielt hat. Mit einer Matschküche. Im Freien. Im Sommer. Merkste selbst oder?
Der Zwerg hatte im letzten Schuljahr genau einmal seine liebste rosa Trinkflasche dabei. Nachdem er damit verspottet und ausgegrenzt wurde, nahm er nur noch die mit neutralen Farben. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern unheimlich traurig. Traurig, dass wir im Jahr 2020 noch immer so kleingeistigen Mist haben, mit dem man sich herumärgern muss. Aber bevor man sich ausgrenzen lässt, passt man sich halt oberflächlich an und trinkt dann daheim aus dem Elsa-Glas. (By the way ist Frozen der Inbegriff der Weiblichkeit und sollte für Jungs verboten werden! Achtung Sarkasmus!) Momentan trägt er übrigens Jeans aus der Mädchenabteilung, weil die so eng geschnitten sind, dass sie ihm nicht vom Hintern rutschen. Allerdings dazu überlange Pullis, sonst könnte man ja sehen, dass an einer Gesäßtasche ein kleines metallenes Herz angebracht ist.
Ey Leute …. Wir sind wie gesagt im Jahr 2020. Und die größte Sorge von Fritz-Uwe und Kordula-Waltraud ist wirklich, ob das Kind schwul wird, weil es mit rosa malt oder Glitzer auf der Einladungskarte anbringt.
Sollten wir uns nicht mehr Gedanken darüber machen, dass es noch immer Eltern gibt, die ihren Kindern eintrichtern, dass Mobbing okay ist? Dass es noch immer Eltern gibt, die ihre Kinder systematisch in Rollenklischees drängen, ohne ihre individuellen Wünsche und Vorlieben miteinzubeziehen? Ist es nicht eigentlich scheißegal, ob das Kind Haarklammern trägt und mit Dinos spielt, solange es mit seinen Mitmenschen respektvoll und liebevoll umgeht?
Geschlechterrollen sind absolut überholt!
Ich weiß nicht, ob du das Video kennst, das vor einiger Zeit auf Social Media herum gereicht wurde, in dem eine Mutter ihrem Mann und den Kindern einfachste Tätigkeiten im Haushalt erklärt und die Familie alles gebannt auf Notizblöcken notiert. Dieses Video lebt von Vorurteilen, von Rollenklischees. Und es hat mich unheimlich wütend gemacht. Während etwa 99 % der Menschen, die es sahen, sich darüber amüsierten, war ich mehr als entsetzt.
Für meine Kinder möchte ich nicht, dass sie denken, Haushalt ist Frauensache. Ich möchte nicht, dass sie verinnerlichen, dass Care Arbeit nur für die weiblichen Menschen der Gesellschaft und nebenbei nix wert ist. Und ich will nicht, dass meine Kinder mit so vielen Vorurteilen, so viel Mist aufwachsen, was dann auch noch belächelt und gesellschaftlich akzeptiert ist.
Damit, dass man diese ganzen Geschlechterklischees gesellschaftlich noch immer so zugänglich macht und belächelt, ebnet man nur weiter den Weg, um Ausgrenzung, Mobbing und Diskriminierung zu legitimieren. Etwas, das ich absolut nicht als erstrebenswert empfinde. Und das solltest du auch nicht.
Jedes Kind ist anders – jeder Mensch ist anders
Deinem Kind fällt nicht der Penis ab, wenn es mit Schleich-Ponys spielt. Deinem Kind wächst auch nicht automatisch ein Bart, wenn es mit Holzschwertern kämpft, statt die Baby Born zu füttern.
Wie sehr ich mir wünsche, dass diese ganzen engstirnigen Ansichten der Minderheit angehören oder gar ganz verschwinden, kannst du dir nicht ausmalen. Und bis dahin stärke ich meinen Kindern den Rücken, wenn sie nicht der Geschlechternorm entsprechen. Denn jedes meiner Kinder ist anders und eine Schublade reicht bei weitem nicht aus.
Wenn die anderen schon nicht umdenken wollen, liegt es an mir, meinen Kindern aufzuzeigen, dass sie gut sind, so wie sie sind. Sie sind genau so richtig, weil sie sind, wie sie sind. Und ein bisschen tun mir die anderen Kinder leid, die nie erfahren, wie toll es ist, man selbst sein zu dürfen, weil man sonst nicht mehr der von den Eltern angedachten Rolle entspricht.
Ja, ein Umdenken wäre schön. Mehr Toleranz und ein Tellerrand, über den man blicken möchte. Doch solange Väter sich noch aus der Erziehung und Verantwortung für ihren Nachwuchs ziehen können und Frauen das akzeptieren, tolerieren und unterstützen, ist es noch ein weiter langer Weg.
Und bis es so weit ist, male ich weiter Herzchen mit dem Zwerg, lackiere dem Frosch die Nägel und zocke mit den anderen beiden am PC. Denn ich bin es, die das Bild meiner Kinder prägt. Ich bin diejenige, die ihnen das nötige Selbstbewusstsein mitgibt, dass man aus der Rolle fallen und man selbst sein darf. Ich bin die, die sie bestärken muss, dass sie über Unkenrufen stehen und diese entkräften müssen.
Wir leben im Jahr 2020. Nicht mehr in der Steinzeit. Es ist Zeit, die Stärken und Vorlieben anderer zu respektieren und zu tolerieren, solange niemand einen Schaden davon trägt. Weil es egal ist, welche Geschlechtsorgane da wachsen. Weil wir alle Menschen sind. So!
Herzlichst, die Julie
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2 Kommentare
Anna
Das! Ganz genau das. Du sprichst mir so dermaßen aus dem Herzen. Arbeite in einer Kita und bin unendlich froh, dass meine beiden Kolleg:innen und ich da an einem Strang ziehen und in unserer Gruppe auch dagegen vorgehen wenn Kinder andere Kinder wegen so etwas wie Nagellack oder langem Haar angehen.
Mein Kind ist übrigens eins von der „Ich liebe Dinos und rosa und mach mich gern im Sandkasten so richtig dreckig und füttere danach meine Puppe bevor ich sie mit dem Zauberstab in eine Katze verwandele die mit mir laute Rockmusik hört“-Sorte, und ich lieb’s.
Julie
Liebe Anna,
ich finde es richtig toll, dass ihr so drauf achtet. Leider fällt das oft noch hinten runter. Es ist dann doch mehr Charaktersache als die des Geschlechts. 🙂