Bayern hat die Faschingsferien gestrichen – und wir Eltern gehen auf dem Zahnfleisch
Achtung: Das ist ein Rant, gespickt mit Sarkasmus, weil in Bayern die Faschingsferien gestrichen wurden. Ich warne nur mal vor.
Jetzt habe ich die Tage und letzten beiden Wochen immer wieder auf Twitter gelesen, wie schön es ist, nach diesem ganzen Stress eine Woche Pause vom Distanzunterricht zu haben. Pause von der Mehrfachbelastung. Und ich war ehrlich verdammt neidisch. Denn hier in Bayern wurden großmütig die Faschingsferien gestrichen. Quasi als Ausgleich für täglich mehrere Stunden Homeschooling, Home Office und den ganzen anderen Schmu. Du merkst, ich bin total begeistert? Ja, richtig super, dass wir durchlernen dürfen. Also unsere Kinder. Ach nee, irgendwie wir alle.
Wie in jeder Berufssparte gibt es auch unter den Lehrkräften Menschen, die sich mehr engagieren und andere, die sich weniger reinhängen. Wir haben hier in der Grundschule und am Gymnasium Lehrkräfte, die reißen sich den Hintern auf, schneiden den Schulstoff individuell zu, sind jederzeit für Rückfragen da und das Unterrichtspensum ist nicht gerade wenig.
Wir haben hier Kinder, die mal mehr mal weniger enthusiastisch von Montag bis Freitag – und manchmal auch am Wochenende – über mehrere Stunden an Arbeitsblättern, Erklärvideos und ähnlichem sitzen. Kinder, die verdammt viel lernen. Die gern lernen, obwohl sie nicht wissen, wann sie das Erlernte ihren Lehrkräften live präsentieren können.
Wir Eltern sitzen täglich über mehrere Stunden da, erklären neben der Mehrfachbelastung gebetsmühlenartig, was im Erklärvideo nicht verstanden wurde, lösen gemeinsam mit den Kindern Matheaufgaben. Wir zerreißen uns seit Wochen, um allen gerecht zu werden und haben damit schon längst unsere Kraftreserven ausgebraucht.
Aber wir tun ja nix.
Oder zumindest so wenig, dass es wohl gerechtfertigt ist, die Unterbrechung, dieser hardcore Zeit zu streichen. Den Lichtblick. Die wohlverdiente Pause.
Wir könnten ja in der Zeit verblöden. Oder gar denken, der Distanzunterricht sei Freizeitvergnügen. Das geht natürlich nicht. Deswegen powern wir durch. Mit nicht vorhandenen Kraftreserven, abhanden gekommener Motivation und der Frage im Hinterkopf, was das ganze Affentheater denn eigentlich soll.
Denn, wenn wir jetzt mal ehrlich sind: Ich habe in meiner Schulzeit verdammt oft gefehlt. Da war die Blinddarm-OP, diverse OPs am Trommelfell, Mandeln, Polypen und anderer Kram, was mich immer mal wieder für Wochen aus dem (Schul-)Spiel genommen hat. Da sind Mittelohrentzündungen, Erkältungen, Migräne und andere „Alltagsbeschwerden“ noch gar nicht dabei. Allein in der 10. Klasse fehlten mir etwa 9 Wochen Schule. Ohne Digitalisierung. Und ich habe es überlebt, musste nicht einmal eine Ehrenrunde drehen und habe 3 Jahre später mein Abitur gemacht.
Diese Generation ist keine verlorene Generation, der man auf Teufel komm raus Wissen einprügeln muss. Diese Generation hat so viele Päckchen zu tragen und beißt sich dennoch durch. Das Versagen des Distanzunterrichts und der fehlenden Möglichkeiten, sinnvoll schulisch arbeiten zu können, anhand einer Ferienwoche auszumachen, ist einfach nur lachhaft. Es ist eine Farce.
Dass das Streichen der Faschingsferien in Bayern vielleicht mehr Motivation bei SchülerInnen und Eltern kostet, als das ganze Verhalten davor – haben die Damen und Herren „da oben“ schon so weit gedacht? Dass diese Insel, auf die alle im Distanzunterricht zuschwammen, nun einfach gesprengt wurde, damit wir Äffchen brav im Hamsterrad weiterrennen, macht wütend. Wütend und müde.
Wer braucht schon Pausen?
Nein, ernsthaft. Wer braucht das schon? Sowas wie Burnout und Überforderung und Verzweiflung steht uns doch eh nicht zu, weil damals im Krieg und so. Ach ja, wie ich diese Argumentation verabscheue und trotzdem immer wieder vor die Füße gerotzt bekomme.
Vor allem, wenn ich bedenke, wie viele dieser Kriegsgeneration die Schule unterbrechen mussten oder gar nicht erst dorthin konnten und dennoch später was zum Bruttosozialprodukt beitrugen. Und das ist doch die größte Sorge unserer Politiker oder? Ehrenrunden, was die Steuereinnahmen verzögert. Anders kann ich mir diesen Schwachsinn nicht erklären. Nicht, nachdem auch immer wieder diskutiert wird, ob die Sommerferien auch gekürzt werden sollen.
Unser Lichtblick: Die Lehrkräfte
Denn da gibt es Menschen, die selbst diese anstrengende Zeit mitgestalten, planen und irgendwie umsetzen müssen. Da gibt es Menschen, die sieben Tage die Woche zur Verfügung stehen, sich unsere Probleme anhören und gleichzeitig mit uns für die Kinder eine Lösung erarbeiten. Diese Menschen haben jetzt zumindest für eine Woche den Schulstoff so reduziert, dass wir wieder Luft zum Atmen haben. Dass das panische Rotieren aufhört. Eine Woche, in der die Kinder verschnaufen können und nicht mehrere Stunden vor Tablets, Arbeitsblättern und überforderten Eltern sitzen müssen.
Ich mag nicht mehr und ich kann nicht mehr.
Ich schlafe mittlerweile – nicht nur schwangerschaftsbedingt – kaum noch. Mein Kopf kennt keine Pausen mehr, ich bin erschöpft. Mir fehlt die Kraft, hier weiterhin 3 Kinder liebevoll und geduldig durch den Schulstoff zu begleiten, nebenbei ein Kleinkind und ein Vorschulkind zu beschäftigen, den Haushalt und meine Selbstständigkeit zu bewältigen. Ich fühle mich ausgebrannt. Noch 1,5 Monate bis Ostern. 6 Wochen. Wie ich das stemmen soll? Keine Ahnung.
Gerade in der Pandemie, wenn „das Dorf“, also in dem Fall die Betreuung von außen fehlt, ist es ein Hohn, diese Mehrfachbelastung herunterzuspielen und wichtige Erholungsphasen für Eltern, Kinder und Lehrkräfte zu streichen.
Aber wir leben ja in einer Leistungsgesellschaft. Und wer von den Entscheidungsträgern möchte schon dafür verantwortlich sein, wenn Lieschen Müller aufgrund einer Woche Ferien keine Führungskraft in einem führenden Unternehmen für Entspannungsprodukte wird. Das kann man einfach nicht verantworten.
Ich wünschte, nur einer dieser Entscheidungsträger würde hier mal für ne Woche übernehmen. So ganz. Inklusive Windeln, Einschlafbegleitung, Überforderung bei Lateinvokabeln, angebranntem Essen und echten Alltagssorgen. Eine Woche das Leben von echten Eltern führen, die keine Nanny, kein Internat und dafür Existenzängste, aufgebrauchte Kraftreserven und schlaflose Nächte in petto haben. Einfach nur, um zu realisieren, was sie anrichten. Was sie uns Familien antun.
Und jetzt, entschuldige mich, HSU ruft. Wir haben nämlich Faschingsprojektwoche.
Herzlichst, die Julie
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4 Kommentare
Sina
Hey,
Ich fühle so mit dir. In BaWü wurde die Woche zum Glück nicht gestrichen. Aber was nicht ist kann ja noch werden. Ostern, Pfingsten, Sommer. Wir brauchen ja keine Auszeiten, keine Familienzeit. Wir arbeiten in Wechselschicht, damit immer einer Schule machen kann und danach 8h schaffen geht. Oder erst 8h Arbeit, danach Schule. Alles einfach vereinbar. Easy. *ironie-off*
Liebe Grüße
Sina
Julie
Hach Sina,
es ist zum Mäuse melken. Mit Vereinbarkeit hat das schon lange nichts mehr zu tun. Nicht bei uns Primär-Eltern, aber auch nicht bei Lehrkräften, die selbst Kinder haben. Mich macht das Ganze einfach nur noch müde und wütend.
Melanie
Liebe Julie,
es tut mir total Leid für euch. Meine sechs Kinder, mein Mann und ich wohnen in Hamburg. Wir haben vom 01. März an zwei Wochen Ferien. Ich warte schon sehnsüchtig darauf. Vor allem weil Hamburg auch kurz nach Neujahr wieder mit dem Online Unterricht gestartet hatte. Ich glaube wir brauchen alle eine Pause. Im schlimmsten Falle muss man die Notbremse ziehen und die Kinder für die Woche abmelden. Auch allgemeine Erschöpfung ist ein Grund zur Krankschreibung. Es ist ja keinem geholfen, wenn Mutter und Kinder kurz vor dem Burnout stehen.
Lass es dir gut gehen und versuche dir Inseln der Ruhe zu gönnen (ja ich weiß, leichter gesagt und so). Ich habe mir meine Elternzeit auch irgendwie nicht mit acht Personen dauerhaft Zuhause vorgestellt 😂.
Julie
Danke für deine lieben Worte, Melanie.
Pausen täten wirklich gut. Und sie wären so nötig. Dass du dir deine Elternzeit anders vorgestellt hast, kann ich sehr gut nachvollziehen. Man plant ja auch einfach damit, das „Dorf“ nutzen zu können und das ist dank der Pandemie einfach weggebrochen.