Kranke Pflege – gemeinsam aus dem Notstand (mit Verlosung)
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Vor fast exakt vier Jahren starb mein Opa in einem Altersheim. Vier Jahre ist das her und noch immer werde ich wütend, wenn ich daran denke, wie die Verhältnisse dort und auch in der Geriatrie und Psychiatrie zuvor waren. Nämlich eigentlich untragbar. Und ehrlich gesagt war ich sehr froh, dass dieser wunderbare alte Herr, der durch unglückliche Umstände auf Pflege angewiesen war, nicht allzu lange dort verweilen musste, bis er friedlich einschlafen durfte.
Meine persönlichen Erfahrungen mit der Pflege
Es fing an, als mein Opa binnen kurzer Zeit immer wieder seltsame Dinge erzählte, sich an der Wohnungstür irrte und sich plötzlich nicht mehr an den Namen seiner Frau – meiner heißgeliebten und Jahre zuvor verstorbenen Oma – erinnern konnte. Nein, eigentlich fing es an, als er etwa zwei Jahre zuvor einen Zahnstocher verschluckt hatte und nach kurzem Aufenthalt in einem Krankenhaus in die Geriatrie verlegt worden war. Die erste Nacht verbrachte er in einem Abstellraum mit Eimer zum Urinieren. Die Geriatrie war heillos unterbesetzt und gleichzeitig überfordert. Er war einfach nur froh, als er wieder heim in seine eigenen vier Wände durfte.
Als er dann eben anfing, zwei Jahre später so seltsam zu werden und zum Schluss erst in Kurzzeitpflege in eine Psychiatrie und dann in ein Seniorenstift kam, wurde mir klar, wie schlecht es um die Ältesten unserer Gesellschaft steht. Wie wenig ausgebildetes Pflegepersonal für viel zu viele Patienten gleichzeitig da sein muss. Das kann man nicht schaffen.
Ich saß da also, schwanger mit meinem vierten Kind, in einem großen Aufenthaltsraum meinem Opa in der Psychiatrie gegenüber. Man hatte ihm einen Strampler verpasst, der sich nur am Rücken öffnen ließ. Gleichzeitig musste er eine Windel tragen, denn man traute es diesem Menschen, der zwei Tage zuvor noch selbst einkaufen war, nicht zu, allein auf die Toilette zu gehen. Ihm wurde eine Schnabeltasse zugeteilt und seine persönlichen Dinge waren in einer Mülltüte verstaut worden. Auch die Bilder seiner Urenkel und seiner Frau. Menschenwürde? Ehrwürdig altern? War hier fehl am Platz. Er fluchte und schimpfte, was wir ihm nur antaten. Aber ich war schwanger, hatte weder die Ahnung noch die Räumlichkeiten, um meinen Opa aufzunehmen.
In der Zeit baute er rapide ab. Meine Mama übernahm die Verantwortung und suchte ihm ein schönes Pflegeheim auf Empfehlung aus, damit er aus der Anstalt konnte. Er sollte seinen Lebensabend schön gestalten. Mein Opa stellte das Sprechen ein, das Laufen und schließlich verweigerte er Essen und Trinken, bevor er friedlich einschlief. Keinen Monat, nachdem er ein hübsches Doppelzimmer im Dachgeschoss des Pflegeheims beziehen durfte. Als wir kamen, um uns von ihm zu verabschieden, versuchten zwei alte Damen etwa 20 Minuten lang unter lautem Geschrei, sich gegenseitig ihre Windelhöschen zu wechseln. Es war keiner da, der hätte helfen oder reagieren können. Es war schlichtweg zu wenig Personal.
Wir haben einen Pflegenotstand!
Was mir so vor Augen geführt wurde, war mir zuvor nicht so klar. Wann setzt man sich denn auch großartig damit auseinander? Schließlich sind das Altern und der Tod noch immer Themen, die man am liebsten meidet und ganz umgeht. Im Durchschnitt, so schreibt Alexander Jorde in seinem Buch „Kranke Pflege – gemeinsam aus dem Notstand“ kommen auf eine Pflegefachkraft 13 zu betreuende Personen. Dabei gibt es starke Abweichungen nach oben und unten. In Norwegen dagegen liegt der Schlüssel bei 5,4 Patienten pro Fachkraft. Ein gravierender Unterschied. Das bedeutet aber auch erhebliche Einschnitte in der Qualität der Pflege und des Lebens der Patienten.
Von den Zahlen für den Nachtdienst mag ich gar nicht erst anfangen, denn wer von uns, die nicht in diesem Bereich tätig sind, traut sich zu, knapp 30 pflegebedürftige Personen allein zu betreuen?
Kranke Pflege – wer trägt die Schuld?
Jorde schreibt in seinem Buch, dass das Problem hausgemacht ist, da die Politik mit der Ökonomisierung des Gesundheitssystems dafür gesorgt hat, dass die Pflege eben wirtschaftlich sein muss. Da bleibt entweder der Patient oder das Fachpersonal – oder, wie häufig beide – auf der Strecke. Und die Folgen des Problems kann man nicht lösen, indem man Pflegekräfte aus anderen Ländern einstellt, denn die werden auch bei sich vor Ort gebraucht. Ebenso geht wohl oft unter, wie komplex diese Berufssparte eigentlich ist. Die Verantwortlichen hierfür, nämlich die Politiker, unterschätzen den Aufwand und die Komplexität.
Vielleicht hängt es aber auch damit zusammen, dass der Beruf der Pflege ursprünglich nicht vergütet und als helfende Tätigkeit gesehen wurde. Dadurch ist er wohl in vielen Köpfen als minderwertig angesehen. Das wiederum wirkt sich darauf aus, dass sich wenige für diesen Berufszweig entscheiden.
Anhand des Beispiels Norwegen sieht man, wie wichtig es eigentlich ist, Menschen mit Pflegebedürfnis mit Respekt entgegenzutreten. Wie wichtig es ist, dass dieser Berufszweig geachtet und passend entlohnt wird. Dass genügend Personal für pflegebedürftige Personen zuständig ist. Denn dieses, so Jorde, würde unter den Bedingungen hier nicht arbeiten wollen.
Gibt es Auswege?
Einen direkten Lösungsansatz gibt es nicht. Aber die Verbesserung der Arbeitsbedingungen wäre schon ein Ansatz. Viele Pflegekräfte scheiden schon nach wenigen Jahren aus dem Berufsfeld aus und orientieren sich neu. Wären die Bedingungen besser, wäre wohl auch für diese das ein Anreiz in den alten Beruf zurückzukommen.
Außerdem sollte die Abwertung des Berufs der Pflege ein Ende finden. Denn Pflegekräfte machen viel mehr, als einfach nur da zu sein. Dementsprechend sollte sich die Qualifikation auch daran anpassen. Nicht, um Menschen auszuschließen, sondern um die Qualität der Pflege zu gewährleisten.
Im Allgemeinen ist das aber kein Problem, das binnen kürzester Zeit gelöst werden kann, denn Pflegefachkräfte wachsen nicht auf den Bäumen. Sie müssen ausgebildet und als wertvoll erachtet werden.
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Und weil ich finde, dass das ein unheimlich wichtiges Thema ist, das uns alle früher oder später angeht, verlose ich einmal das Buch „Kranke Pflege – gemeinsam aus dem Notstand“ von Alexander Jorde:
Was du tun musst, um in den Lostopf zu hüpfen:
- Hinterlasse mir hier einen Kommentar, welche Erfahrungen du mit der Pflege gemacht hast. Arbeitest du vielleicht sogar selbst in dem Berufsfeld?
- Das Gewinnspiel startet mit der Veröffentlichung und endet am 8.3.2019 um 23:59 Uhr.
- Mit der Teilnahme am Gewinnspiel erklärst du dich damit einverstanden, im Falle des Gewinns hier namentlich genannt und per Email benachrichtigt zu werden. Ferner erklärst du dich damit bereit, deine Daten im Falle des Gewinns im Rahmen der DSGVO für den Versand bereitzustellen.
- Der Gewinn wird nicht bar ausbezahlt und der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
- Teilnehmen darf jeder über 18 Jahren mit einem Wohnsitz in Deutschland.
- Der Erwerb von Produkten und Dienstleistungen beeinflusst die Gewinnchancen nicht.
- Verantwortlich für das Gewinnspiel ist der Betreiber lt. Impressum.
8 Kommentare
Hauptstadtpflanze
Liebe Julie,
es ist wirklich traurig, wie es um die Pflege bestellt ist und was Ihr mit Deinem Opa erfahren habt. Ich mache mir Sorgen um das Thema, erlebe, wie meine Eltern älter werden und frage mich, wie ich einmal helfen werde können, mit Kindern und in einer anderen Stadt. Zum Glück waren unsere Erfahrungen in der Familie bisher besser, meine Oma ist fast 101 geworden und mit dem Pflegeheim konnten wir zufrieden sein.
Liebe Grüße
Svenja
Holger
Hallo zusammen,
ich musste bisher nicht gepflegt werden, was auch gut ist, denn Gesundheit und Selbstständigkeit ist (mir) sehr wichtig.
Ich habe jedoch einige Freunde, die als Pfleger arbeiten und oft von langen Schichten, harter körperlicher Arbeit und kaum zu schaffenden Zeitplänen reden. Schon traurig, was man da so hört. Ich hoffe also, dass es besser wird (bezweifel es aber dennoch).
Viele Grüße, Holger
Lars
Zum Glück musste ich mich noch nicht mit dem Thema aktiv auseinandersetzen. Aber die Zustände in der Pflege sind bedrückend und politisch so gewollt bzw. sie werden geduldet.
Würde mich sehr über das Buch freuen.
Silke K.
Liebe Julie,
meine Mutter war über 15 Jahre in der Pflege tätig und es muss sich wirklich dringend was ändern. Offene Stellen und kein Geld für neues Personal und das vorhandene Pflegepersonal arbeitet für 2 oder sogar 3.
Schön, wenn sich auch junge Menschen bereits mit dem Thema befassen und etwas ändern möchte, wie Alexander Jorde.
Ein schönes Wochenende
Silke K.
Mama geht online
Wichtiges Thema, über das man gar nicht oft genug sprechen und auf die Missstände hinweisen kann. Danke für deinen ausführlichen Text. Hab ich gerne bis ganz zum Ende gelesen.
LG Anke
Nadja
Ich finde es so erschreckend, wie wir unser Gesundheitssystem maximiert haben. Das Problem betrifft ja nicht nur die Pflege von älteren Menschen. Auch in Krankenhäusern herrscht akuter Fachkräftemangel und Unterbestzung. Ich würde das Buch gerne lesen.
Julia
Eigentlich gehören ja viele unserer „Systeme“ generalüberholt. Schule, Gesundheit und vor allem auch das der Pflege. Um so stolzer und glücklicher bin ich übrigens auch deshalb, dass unsere Frieda Teil des Generationenprojekts im Seniorenheim war und mit 9 anderen Kids wieder etwas „Leben in die Bude“ brachte! ❤️
Tine
Liebe Julie, danke für diesen ausführlichen Text. meine Freundin, die in der Altenpflege tätig ist, schildert das genauso. Und ich bin dankbar, dass meine Mama nicht in einem Heim, wie Du es schilderst, untergebracht hat. In der Geriartrie, wo sie zeitweilig untergebracht war, ging es aber genauso zu. Wie oft plagte uns da das schlechte Gewissen. Es muß sich dringend in der Pflege etwas ändern, es muß sich auch ändern, dass Leute, die diesen so wichtigen Job machen, viel zu wenig verdienen.