Sei Pippi, nicht Annika – WARUM?!
Dieser Satz „Sei Pippi, nicht Annika“, er geistert seit Wochen und Monaten durch die sozialen Netzwerke. Auf Instagram wird mit Vorliebe dazu ein dreckiges und glückliches Kind gezeigt. Aber warum, zur Hölle, muss das Kind unbedingt Pippi sein? Was ist an Annika so schlecht?
Ich habe hier vier – wie hatte es die Kinderärztin so schön formuliert – willensstarke Kinder. Kinder, denen der Schalk im Nacken sitzt, die kaum 5 Minuten ruhig sitzen und immer neue Dinge aushecken. Oft geht dabei etwas zu Bruch, manchmal bin ich auch richtig wütend deswegen und meistens sitze ich abends da und freue mich, wenn abends noch ein paar Minuten Ruhe bleiben – ohne, dass ich die nächste Katastrophe abwenden muss.
Im Endeffekt habe ich hier vier Pippis. Manchmal etwas stärker ausgeprägt und manchmal etwas weniger. Ich finde es toll, dass sie hinterfragen, die Welt entdecken wollen und sich auf die wildesten Abenteuer einlassen. Ich liebe es, wie sie auf Bäume klettern, unerschrocken auf Menschen zugehen und komplett wertfrei aus sich herauskommen.
Aber: ich selbst bin eine Annika. Es macht mir zu schaffen, wenn sie über meine Grenzen gehen und wie selbstverständlich den Flieder stutzen, um im Spielhaus einen lila Teppich auszulegen. Mein Magen zieht sich zusammen, wenn ich zum wiederholten Mal sage, dass dies und jenes dann doch gefährlich ist, obwohl die eigenen Grenzen zu erfahren ein wichtiger Punkt ist. Manchmal sitze ich da und resigniere. Weil es mir zuviel ist, immer wieder eingreifen zu müssen, obwohl die Absprachen klar waren. Weil ich keine Kraft habe, den ständig fordernden Pippis nachzukommen und mich dabei zu vergessen.
Ist Annika wirklich so schlecht?
Und wenn ja, was ist denn bitte an Annika schlecht? Dass sie nachdenkt, bevor sie handelt? Dass sie ein großes Bedürfnis nach Harmonie hat? Oder dass sie nicht gedankenlos alle Regeln bricht, weil sie Rücksicht nimmt? Ist es wirklich so schlecht, manche Dinge als gegeben hinzunehmen und nachzudenken, bevor man agiert? Oder ist es negativ, wenn man eher introvertiert und nachdenklich ist? Ehrlich, den Gerechtigkeitssinn von Annika finde ich bewundernswert, denn der kommt heute oft zu kurz. Einfach, weil man eher an sich selbst als an das Umfeld denkt.
Ist Pippi wirklich so toll?
Ich meine, sie setzt sich für andere ein, kämpft für ihre Freunde und Familie – was ja eigentlich schon ziemlich toll ist. Doch das macht Annika auch. Aber sie setzt sich dabei über jegliche Regeln und Normen hinweg, die für jeden anderen Normalsterblichen gelten. Weil sie stärker ist, weil sie sie nicht interessieren, weil sie es kann. Und bringt damit Annika immer wieder in eine ziemliche Zwickmühle, weil diese eben niemanden enttäuschen will. Vielleicht mögen die Absichten toll sein, aber die Umsetzung ist jedesmal damit verbunden, dass Pippi anderen auf der Nase herumtanzt und sich oft als Nabel der Welt empfindet. (Wen dem nicht so ist, berichtige mich bitte.) Den Entdeckerdrang allerdings und die Begeisterungsfähigkeit finde ich super, denn mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, das ist wundervoll.
Und was ist, wenn das Kind einfach Annika ist?
Der Satz „Sei Pippi, nicht Annika“ impliziert doch schon irgendwo, dass Annika eigentlich nix taugt und Pippi das Ziel aller Träume ist. Was aber, wenn ich ein Kind vor mir habe, das ruhig, in sich gekehrt und nachdenklich ist? Was, wenn dieses Kind eben schüchtern agiert, keine Freude daran hat, Schabernack auszuhecken und andere aufs Kreuz zu legen? Ja, ist das denn so schlimm?
Kinder annehmen, wie sie sind!
Jedes Kind ist anders. Es gibt laute Kinder, leise Kinder, extrovertierte Kinder, introvertierte Kinder. Jeder Mensch hat so viele Facetten. Und genau das ist toll und gut. Ein Kind, das schüchtern ist, wird sich nicht durch diesen Spruch plötzlich offener und wilder bewegen, sondern eher zurückziehen. Ein Kind, das eh schon lebhafter ist, wird nicht durch diesen Satz noch wilder. Sicher kann man seine Kinder ermutigen, sich etwas mehr zu trauen. Man kann ihnen Unterstützung anbieten, um mehr aus sich herauszukommen.
Aber ihnen zu sagen „Sei lieber nicht wie du bist, sondern sei wie Pippi“, finde ich einfach nur anmaßend und einschüchternd. Denn wir Erwachsenen wollen doch auch so akzeptiert und geliebt werden, wie wir sind – egal ob Pippi oder Annika.
Und ehrlich, ich mag meine Wirbelwinde – fände es aber auch nicht weniger toll, wenn diese kleinen Wesen ein wenig ruhiger und mehr wie Annika wären. Aber es sind meine Kinder. Egal ob wild oder sanft, egal ob laut oder leise. Egal ob Pippi oder Annika!
Am Ende ist es doch egal, ob unsere Mäuse Pippis oder Annikas sind. Wie wir damit umgehen und dass wir sie bedingungslos lieben, das zählt.
Wie siehst du das?
Herzlichst, die Julie
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17 Kommentare
Mama Maus
Hallo Julie,
ein toller Text. Es stimmt, wir sollten unsere Kinder so annehmen wie sie sind, in ihrem Sein bestärken und sie bedingungslos lieben, egal ob Pippi oder Annika.
Viele Grüße
Mama Maus
Julie
Vielen Dank für dein Feedback, liebe Mama Maus. Ich glaube, das sollten wir uns öfter bewusst vor Augen halten.
Liebe Grüße
Sina martin
Schön geschrieben. Ich hab den satz auch schon mehrmals gelesen, mir allerdings nie wirklich gedanken drüber gemacht. Aber du hast recht eine Pippi zu sein ist nicht besser als Annika zu sein.
Julie
Mir hat es wirklich einfach sauer aufgestoßen, dass dieser Satz im Endeffekt impliziert, dass man nicht gut ist, wie man ist, außer man ist so wie Pippi. Dabei ist es doch eigentlich toll, dass jeder seine Eigenarten hat.
Nicole
Das hast Du schön geschrieben. Man sollte die Kinder und auch sich selbst so annehmen, wie man ist. Verstellen funktioniert sowieso nicht lange.
Julie
Lieben Dank, Nicole! Leider rückt das immer wieder in den Hintergrund, weil man eben auch von außen angenommen werden möchte. Hoffentlich sind die Kinder so selbstbewusst, dass sie problemlos zu sich stehen und sich annehmen können, ohne sich von solchen Dingen beeinflussen zu lassen.
Jessi
Danke für diesen tollen Post! Genau das empfinde ich auch immer, wenn ich diesen Spruch lese. Und bin froh und stolz auf meine kleine „Annika“, die eben ruhig, empathisch und auch mal in sich gekehrt ist und ebenso frech und unglaublich mutig sein kann. Annehmen und lieben, statt in Schubladen denken sollen wir unsere Kinder.
Julie
Wie lieb von dir! Dein letzter Satz spricht mir sehr aus dem Herzen.
Liebe Grüße
Julia
Schöner Beitrag, Julie. Ja es ist eben jeder wie er ist – egal, ob Pippi oder Annika. Frieda ist sicherlich auch eher Annika und ich auch. Angepasst, hilfsbereit, stets rücksichtsvoll. Manchmal wünsche ich mir für sie ein bißchen mehr Pippi-Power, etwas mehr Mut und Durchsetzungskraft bei anderen Kindern. Aber sie ist ja noch jung (3) und da geht sicher noch einiges. Eine Mischung aus Pippi und Annika- das wäre doch genial. Ein bißchen Annika, ein bißchen Pippi und eben gaaaaanz viel Frieda
Julie
Deine Maus hat noch so viel Zeit, Mut und Durchsetzungskraft zu entwickeln. Gleichzeitig hat sie wundervolle Eigenschaften, denn Empathie und Hilfsbereitschaft sind Eigenschaften, die unheimlich wichtig und wertvoll sind. Ich bin mir sicher, Frieda wird ihren Weg machen – und die Welt mit ihrer liebevollen Art erobern!
Mama geht online
Ich bin mehr Pippi mit Annika , mein Mann ist eine typische Annika. Und unser Sohn ist eine gesunde Mischung aus uns beiden. Ich finde es toll, dass es verschiedene Menschen mit Eigenschaften gibt. Und manche haben eben ein großes Sicherheitsbedürfnis, die erst mal alles durchdenken. Das machen die Pippis dieser Welt manchmal erst hinterher und dann ist es schon passiert. Deswegen finde ich unseren Sohn perfekt. Ein Draufgänger, der trotzdem nie über eine rote Ampel gehen wird 😉
LG Anke
Julie
Liebe Anke,
das klingt wirklich toll. Eigentlich perfekt, wenn man sich dessen bewusst ist, dass die Vielfalt an Eigenschaften das Leben bunt macht.
Liebe Grüße
Christian
Ich bin leider erst jetzt auf deine Gedanken zu diesem „Sei Pippi, nicht Annika“-Unsinn gestoßen und kann nur sagen, du hast vollkommen Recht!
Was mich am meisten an diesem Spruch nervt, ist die Tatsache, dass diejenigen, die ihn rausposaunen, völlig vergessen, dass Pippis nur Pippis sein können, weil es im Hintergrund genug Annikas gibt, die den Laden am Laufen halten ?.
Beste Grüße!
Annika
Danke für den Bericht. Das passt zu meiner Sicht zu diesem „man lebt nur einmal“ – Ansatz, der für mich auch Aussagen kann“ ich bin am wichtigsten und meine Bedürfnisse gehen vor“
TIA
Das Problem ist ja eigentlich, dass die „Pippi’s“ die eigentlichen Probleme haben. In der Vorstellung sollen Kinder möglichst wild sein. Im reellen Leben kommen „Annika’s“ aber besser zurecht.
Ich habe beides zu Hause und ich muss sagen mir tut meine „Pippi“ in unserem Fall mein großer Junge oft sehr Leid. Weil er gerne wild und laut spielt und das dann leider für andere zu viel ist obwohl er es (fast) nie „böse“ meint.
Silvia Goede
Grundsätzlich gebe ich dir Recht, es kann nicht jeder Pippi sein. Und zugegeben, es ist ziemlich anstrengend wenn man nur von Pippis umgeben ist. ABER. Ich gebe zu bedenken, dass wir mittlerweile in einer Welt leben wo es Pippis ungleich schwerer haben als Annikas. Du musst dich von Anfang an jeglicher politischen Korrektheit unterwerfen. Die meisten Dinge sind so stark reglementiert. Wir lassen unsere Kinder kaum noch diese Freiräume, die wir selbst genossen haben. Auf Bäume klettern geht so wieso nicht mehr, da könnten ja die Designer Jeans Löcher bekommen und die Chucks grüne Schlieren die nie wieder raus gehen. Ich bin ein Kind in den 70ern und 80ern groß geworden. Ich habe noch eine gewisse unschuldige Kindheit erlebt (bis auf Ölkrise und RAF relativ entspannt). Heutzutage kursieren, dank Internet, die furchtbarsten Szenarien, so dass man es als Eltern kaum noch über das Herz bekommt sein Kind ohne Smartwatch mit Fernüberwachung aus dem Haus zu lassen. Daher ist dieser Spruch, Sei Pippi – nicht Annika, genau das war WIR brauchen. Es gilt nicht den Kindern. Es gilt uns! Wir Eltern. Wir müssen wieder entspannter leben. Nicht mit hinter jedem Busch einen Verbrecher vermuten, Kinder wieder Kinder sein lassen, auch mal politisch unkorrekt sein. So what. Ich versteh diese zugeknöpfte Erbsenzähler nicht (mehr). Ich bin Pippi. Und stolz darauf!
Jules
Hallo Julie,
ich kann Deine Sicht gut nachvollziehen und bin auch Deiner Meinung, dass dieser Spruch nicht zur Kindererziehung geeignet ist. Kinder sind gut so wie sie sind, sollten in ihren Stärken unterstützt und gefördert werden und gewisse Regeln und damit Grenzen kennen lernen, ohne dabei als Person verbogen zu werden.
Ich glaube aber, dass der Spruch „Sei Pippi, nicht Annika“ sich nicht an Kinder richtet oder gar als Erziehungsleitspruch gemeint ist. Der Spruch richtet sich meines Erachtens an Erwachsene und ich interpretiere ihn so, dass ein denkender, erwachsener Mensch sich nicht stumpf an Regeln halten, sondern diese vielmehr hinterfragen und im Zweifelsfall auch mal brechen sollte, um auf sinnbefreite Regeln und gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. Außerdem tut ein wenig Risikobereitschaft ab und an gut. Ohne Risikobereitschaft gäbe es keine Weiterentwicklung und die Menschheit würde entwicklungstechnisch stagnieren. Zudem tut es generell auch mal gut, sich gehen zu lassen, anstatt auf die Vernunft auf sein Bauchgefühl zu hören und 5 grade sein zu lassen. Allerdings heißt das nicht, dass Annika denn negativen Part innehat. Pippi und Annika sind zwei gegensätzliche Extreme, die beide dringend für eine funktionierende Gesellschaft nötig sind. Keiner von beiden ist der bessere oder schlechtere Teil.
Nur habe ich das Gefühl, dass die Annikas dieser Welt derzeit etwas sehr in der Überzahl sind (mich eingeschlossen), so dass der Spruch durchaus seine Berechtigung hat. Denn wenn nur einige den Spruch beherzigen und etwas risikobereiter, weniger regelkonform und angepasst handeln, tut das dem Gleichgewicht gut. LG