Über Body Positivity und Verharmlosung
In letzter Zeit wird immer mehr davon gesprochen, wie sehr man extrem füllige – aber auch mehr als dünne – Körper achten und ehren soll. Body Positivity ist das Schlüsselwort in aller Munde. Immer wieder wird auf Übergrößenmodels verwiesen, auf stark übergewichtige tanzende Mädchen und regelrecht zelebriert und gefeiert, dass diese so sind, wie sie sind. Vor allem Ashley Graham wird genannt, wenn es darum geht, seine Kurven – oder die nicht vorhandenen – zu lieben. Und das ist etwas, worüber ich mir schon lange Gedanken mache. Auch weil ich im Hinterkopf meine beiden Mädels habe.
Body Positivity – jeder Körper ist schön, heißt es
Es gibt kleine Menschen, große Menschen, dicke Menschen, dünne Menschen, Menschen mit heller Hautfarbe und Menschen mit dunklerer Haut. Wir sind vielfältig und das ist gut so. Genau so erkläre ich es meinen Kindern. Und genau so meine ich das auch. Es wäre langweilig, wenn alle Menschen gleich wären oder? Sowohl optisch als auch charakterlich.
Noch dazu ist der BMI eigentlich völliger Quatsch, denn das gleiche Volumen an Muskeln wiegt einfach faktisch mehr als das Volumen an Fett. Demnach wären ziemlich viele durchtrainierte Menschen adipös, obwohl kein Gramm Fett den Körper ziert.
Doch ab einem gewissen Ausmaß kann und will ich nicht mehr positiv reden und beschönigen. Es ist bekannt, dass massives Übergewicht – aber auch Untergewicht – für den Körper schädlich ist und sich nicht gerade fördernd auf die Organe und Knochen auswirkt.
Wäre es nicht besser, wenn …
Ja, wenn man es nicht schönreden, sondern den Tatsachen ins Auge blicken würde? Sicher tanzt die übergewichtige Ballerina toll. Aber ich lehne mich aus dem Fenster und sage, sie würde schlichtweg mehr Leistung bringen, wenn sie zumindest einige Pfunde weniger hätte. Damit meine ich schlichtweg, dass sie mehr Kondition hätte und sie vielleicht noch besser wäre, wäre sie leichter.
Hierbei lasse ich kranke Menschen komplett außen vor. Meine Mama hat selbst keine Schilddrüse mehr und zusätzlich eine chronische Darmerkrankung. Da ist das Ganze, finde ich, ein ganz anderes Thema. Auch Essstörungen sind nicht zu unterschätzen und machen es schwer, wenn nicht gar unmöglich, ein gesundes Mittelmaß zu finden. Ich rede also rein von gesunden Menschen, die durch Völlerei oder falsche Ideale in das eine oder andere Extrem schlagen
Akzeptanz ist wichtig
Aber etwas akzeptieren und respektvoll damit umzugehen, das ist etwas anderes, als es schön zu reden. Doch genau das passiert, finde ich, immer mehr. Menschen sind verschieden und wir sollten jegliche Körperformen und Arten akzeptieren. Man weiß nie, was dahinter steckt, wodurch es dazu kam und ob und wie glücklich derjenige damit ist. Außerdem ist der Blick hinter die Fassade wichtig. Schönheit liegt darüber hinaus im Auge des Betrachters. Der Mensch kann optisch also noch so sehr der Norm entsprechen, wenn der Charakter nicht passt, wirkt er hässlich. Für mich zumindest.
Aber massives Über- und Untergewicht als etwas Tolles und Erstrebenswertes darzustellen, das widerstrebt mir. Und zwar komplett. Weil es physische Folgen hat, weil es ungesund ist und vermutlich auch die Lebenszeit verkürzt (Ja, Ausnahmen bestätigen die Regel und die Tante der Cousine 3. Grades, dessen Großonkel die Oma wurde auch mit 120 Kilo 93 Jahre alt.) und man auf Dauer eingeschränkt ist.
Auch sollte man sich selbst akzeptieren. Akzeptieren, wie man ist, was man ist und wo man gerade steht. Das heißt aber nicht, dass man dort verharren und es so hinnehmen muss.
Schönreden ist falsch
Nein, ich will nicht der Cellulite huldigen oder die hervorstehenden Hüftknochen bewundern. Ich will nicht, dass meine Kinder denken, es sei okay, sich total gehen zu lassen und einen massiv unter- oder überernährten Körper als Nebenerscheinung toll finden. Oder dass man es als normal empfindet, dass man dick ist, weil „das liegt halt in der Familie“. Nein, das tut es in den allerseltensten Fällen.
Ich sehe meinen Körper an, diese vielen Risse auf dem tief hängenden Bauch, die Winkearme, die Cellulite und weiß, mein Körper hat großartige Dienste geleistet. Er hat in 5 Jahren 4 Kinder geboren und Gewichtsschwankungen von bis zu 30 Kilogramm mitgemacht. Das alles hinterlässt Spuren. Ich mag mich – zumindest die meiste Zeit. Und ich akzeptiere, dass ich aussehe, wie ich aussehe. Aber ich rede es nicht schön und versuche, es zu ändern. Denn ich merke auch jetzt, wie mir vieles allein schon mit 5 Kilo weniger schwer fällt. Und ich weiß, wie es sich anfühlt, schlank zu sein. Wie agil ich war, wie leicht ich durch die Gegend tanzte.
Ja, dicke und auch sehr dünne Menschen können glücklich sein und sich akzeptieren, doch sollte man auch immer im Kopf behalten, dass keines der selbst herbeigeführten und nicht krankheitsbedingten Extreme gesund ist und beides Ursachen für Folgeschäden und Erkrankungen sein kann.
Body Positivity in meinem Leben
Die Veränderungen durch die Schwangerschaften und das Altern trage ich in Würde. Ich liebe jede einzelne meiner Narben und die Risse auf meinem Bauch gehören zu mir. Dass mein Bindegewebe nicht das beste ist, war mir vor meinem ersten Kind bewusst – die Ausmaße allerdings nicht. Und dennoch zeugt jeder einzelne Streifen davon, dass dort ein kleines Mädchen unter meinem Herzen 38 Wochen gereift ist, bis es bereit war, zu schlüpfen. Die Narben zeugen von Erlebnissen, die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich bin. Ob der Treppensturz im letzten Jahr oder die kahle Stelle am Hinterkopf, sie gehören zu mir. Und ich akzeptiere sie, denn sie sind ein Teil von mir.
Die Masse an Gewicht aber, die ich mit mir herumtrage, die habe ich mir selbst verschuldet, ganz alleine. Das war meine Entscheidung und nicht der Genpool, der oft als Ausrede genutzt wird. Ich akzeptiere dieses Übergewicht, aber ich arbeite dafür, dass es irgendwann anders aussieht. Weil ich nicht nur in Sachen Selbstliebe eine Vorbildfunktion habe, sondern auch in Sachen Achtsamkeit. Und nun achte ich auf mich, nehme meine Bedürfnisse und meinen Körper bewusst wahr und wirke angelernten Verhaltensmustern entgegen.
Es darf jeder so sein, wie er will, ich rede niemandem rein. Aber ich will und kann krankhafte Extreme – und hierbei meine ich nicht „Ausmaße“ wie die von Ashley Graham – weder verherrlichen noch verharmlosen, sonst wird aus der „Body Positivity“ nur eine „Body Lie“.
Die Julie
6 Kommentare
Mama Maus
Hallo Julie,
ein toller reflektierter Artikel.
Ich bin ganz bei dir jeder darf seinen Körper lieben wie er ist. Werbung für Extremgewicht – sowohl in der einen als auch in der anderen Richtung – finde ich jedoch auch sehr bedenklich.
Mein Ziel ist es meinen Kindern zu erklären, dass alle Menschen unabhängig von ihrem Aussehen sehr schön sein können. Es kommt vor allem auf die inneren Werte an. Ich erkläre ihnen jedoch zusätzlich, dass es nicht gesund ist zu viel oder zu wenig zu wiegen und dass wir deshalb auf unsere Körper achten müssen.
Viele Grüße
Mama Maus
puddingklecks
Liebe Mama Maus,
danke für deinen Kommentar. Ich habe bei diesem Thema wirklich mit mehr Gegenwind gerechnet. Umso schöner zu lesen, dass du der gleichen Meinung bist.
Herzliche Grüße
Katharina
Da gebe ich dir recht. Es wird irgendwie oft so dargestellt, als wäre es besonders toll dick oder dünn zu sein. Hauptsache besonders….. Das Video der Tänzerin ist ja nett, aber wie gut müsste sie ohne ihr Gewicht sein um im Fernsehen zu landen…..
Julie
Danke dir. Ich finde Akzeptanz da unheimlich wichtig. Aber ebenso wichtig ist es einfach, sich vor Augen zu führen, dass solche Ausmaße – egal in welche Richtung – einfach absolut ungesund sind und der Mittelweg das sein sollte, was man anstrebt.
Sabienes
Schöner Artikel und ich stimme dir in allen Punkten zu und verstehe auch außerdem deine Bedenken im Hinblick auf deine Töchter.
Es ist schon sehr extrem, was da heutzutage abgeht. Man findet kein vernünftiges Mittelmaß mehr – auch hinsichtlich seines Körpers. Früher, in meiner Schulzeit gab es in jeder Klasse ein besonders dickes und ein besonders dünnes Mädchen. Wir anderen hatten vielleicht starke Hüften oder starke Oberschenkel oder zu viel Bauch. Aber dennoch war alles noch irgendwie mehr im Rahmen, als es das heute ist. Und dabei ist die Botschaft, die Promis wie Heidi Klum oder Prinzessin Catherine absolut schädlich. Das Verlangen, nach mehreren Schwangerschaften immernoch eine Figur wie ein junges Mädchen haben zu wollen, ist einfach krank.
LG
Sabienes
Cordula
Ein sehr guter Beitrag.
Mich beschäftigt das Thema auch immer mehr. Und ich finde es in gewissen Ausmaßen ebenfalls kritisch zu sagen man solle jede Körperform lieben.
In Deutschland allein ist schon über die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig. Allein diese Tendenz betrachte ich kritisch. Dazu gehören natürlich auch individuelle Faktoren. Man kann nicht hinter die Fassade eines jeden EInzelnen blicken.
Doch man muss der Realität auch ins Auge sehen. Jeder Mensch ist schön, auf seine ganz eigene Weise. Und das unabhängig von schlank oder übergewichtig. Doch zu Selbstliebe und damit einem positiven Verhältnis zu sich selbst gehört es auch sich bewusst zu werden, wenn etwas die eigene Gesundheit gefährdet.
160 Kilo oder gar 180 Kilo ist für die Gesundheit einfach riskant. Und es sterben wesentlich mehr Menschen heutzutage an den Folgen von Übergewicht und daraus resultierenden Erkrankungen, als an Magersucht.
Auch bedenklich finde ich es inzwischen, dass es innerhalb der Thematik Bodypositivity kritisch betrachtet wird überhaupt über den gesundheitlichen Aspekt zu sprechen. Schnell wird es als Fat-shaming bezeichnet. Als eine Art der Diskriminierung solche Bedenken überhaupt zu wagen in den Raum zu stellen.
Ich selbst war jahrelang magersüchtig und kenne Menschen, welche auch mal über 200 Kilo auf die Waage brachten. Realistisch betrachtet sagt keiner, dass er diese Zustände toll fand. Im Gegenteil. Es schränkt das Leben ein.
Und daran ist nichts positiv.
LG