Family,  Kleinkind

Weißt du, eigentlich hab ich dich ja lieb // kleiner Wutbürger

Manchmal gerate ich an meine Grenzen. An die Grenzen, bei denen mir liebevolle Worte fehlen. Grenzen, bei denen mein Verständnis ausbleibt. Ja und dann? Dann harre ich einfach aus und lasse meine innere Stimme schallplattenartig wiederholen „Es ist alles nur eine Phase. Ich bin hier, weil ich das möchte und nicht, weil du das willst!“ Manchmal klappt es und manchmal trete ich die Flucht an.

Der Zwerg in seiner besten Phase

Es ist 11 Uhr vormittags und der Zwerg, der nicht in den Kiga gehen wollte, sitzt vor mir und schmollt. Er schmollt, weil das Mittagessen nicht gerade just in diesem Moment auf dem Tisch steht. Ich kann ihn verstehen, denn wenn ich Hunger habe, bin ich in etwa genauso. Eine Alternative will er aber nicht. „Das schmeckt doch total doof! Ich will aber JETZT die Nudeln!“

Als das Essen 20 Minuten später auf dem Tisch steht, sitzt der Zwerg mir verschränkten Armen da und erklärt mir, dass er aber genau jetzt keinen Hunger mehr hat und außerdem sieht das ja total doof aus und die Nudeln sind nicht die Nudeln, die er sich gewünscht hat. „Das waren nämlich ganz andere, die ich ins Kochwasser geworfen hab!“, sagt er und seine Stimme ist dabei weinerlich. Wieder biete ich ihm Alternativen an, die er aber allesamt als unzureichend empfindet. Dann darf er eben seinem kleinen Bruder und mir beim Essen zusehen.

Bitte Ruhe

Nachdem das Geschirr abgeräumt, der Frosch gewickelt und bettfertig ist, will ich ihn zum Mittagsschlaf hinlegen. Der Zwerg motzt noch immer leise vor sich hin. Also biete ich ihm an, dass er für die Zeit, die ich brauche, den Frosch zum Schlaf zu bewegen, etwas KIKA schauen darf. Er stimmt sogar zu und murrt, dass er auch gaaaanz leise ist.

Ich bin noch nicht am oberen Treppenabsatz angekommen, als eine entnervt geladene Kinderstimme ruft. „MAMAAAA, ich mag aber nicht diese Serie gucken! Schalt das um!“ Weil ich aber gerade oben bin und der kleinste im Bunde jetzt schlafen soll, beschließe ich, den Zwerg kurzzeitig zu ignorieren. Schnell den Rollladen zu gemacht, die Zähnchen geputzt, eine Liebeserklärung ins Ohr gesäuselt und die Decke drüber gezogen. So denke ich jedenfalls. Aber ich habe auch nicht mit der Hartnäckigkeit des Zwergs gerechnet, der nun im Gang steht und lauthals protestiert.

Also husche ich die Treppenstufen nochmals runter, bitte den Zwerg, sich für 10 Minuten am Riemen zu reißen und danach habe ich ja ganz viel Zeit für ihn alleine. Puh, tief einatmen. Ruhe bewahren.

Ich will aber!

Der Frosch ist zum Glück müde genug, um das ganze Drama zu verschlafen. Im Minutentakt prasseln immer neue Beschwerden und Forderungen auf mich ein.

„Mama, ich will jetzt raus!“ – „Dann hol mir deine Klamotten, die du vorhin nicht anziehen wolltest. Ich helfe dir dabei!“„Nein, ich will aber nicht!“

„Ich will jetzt doch was essen, Mama!“„Was möchtest du denn?“„Nudeln, bitte.“„Dann gebe ich dir was vom Mittagessen, ja?“„Nein, das sind die falschen!“

Zwischendurch frage ich mich ernsthaft, was ich alles falsch gemacht habe, dass aus meinem so kleinen Baby so ein Wutbürger werden konnte, der sich mit nichts zufrieden gibt. Er wird immer weinerlicher, fängt an, zu brüllen und haut um sich. Mir bleibt nichts, als ruhig zu bleiben, obwohl ich innerlich koche, und ihm immer wieder meine Nähe oder Hilfe anzubieten.

Irgendwann hat er sich so in Rage gebrüllt, dass alles zu spät ist. Ich halte ihn. Halte ihn fest im Arm, wiege ihn sanft hin und her, streichle über seinen Kopf und flüstere „Ich bin da. Es ist okay!“ in sein Ohr. Wieder und wieder. Während mir leise Tränen über die Wangen laufen. Denn ich bin hilflos und machtlos und kann ihm mit seiner Wut nicht helfen. Und er weiß vermutlich schon gar nicht mehr, warum er so wütend und traurig ist.

Alles okay

Minuten später, der Zwerg ist angezogen und geht zur Haustür raus, ist die Wut verflogen. Kurz darauf steht er vor mir und drückt mir eine Straßenmalkreide in die Hand. Als wir dann so schweigend im Hof sitzen und Sterne und Häuser malen, nur wir zwei, rutscht er ein bisschen näher, kuschelt sich an mich hin und sagt „Weißt du Mama, eigentlich hab ich dich ja lieb!“. Und ich? Ich sitze da, bin gerührt, drücke ihn an mich und flüstere „Wir haben uns immer lieb, gell?“. Er nickt nur und genießt. Genießt, dass die Wut weg ist, das Leben wieder bunt und nicht nur grau.

Dann guckt er mich mit großen Augen an: „Und jetzt will ich bitte das Mittagessen. Mein Magen knurrt und eigentlich sah das ganz lecker aus!“.

4 Kommentare

  • Dirk Matla-Claus

    Liebe Julie,

    bin gerade aus Zufall auf deinem Blog gelandet und die Überschrift hat sich direkt eingebrannt. Man kann es eigentlich nicht besser in Worte fassen!
    Auch wir haben hier so eine 3,5 jährige (Wut)Maus und ich kann deine Erfahrungen nur bestätigen. Da kann man sich wohl nur auf die Zunge beißen.

    Schreib weiter so tolle Artikel !

    VG
    Dirk

  • Britta

    Einfach schön geschrieben, hab beim Ende gerade echt bisschen Pipi in den Augen gehabt. Es beschreibt wirklich diese Gefühlsachterbahn, die die Kids in dieser Phase durchleben, aber natürlich auch wir mit ihn und ihren Launen!

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